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"Wer dabei war, muß erzählen. Noch im Spätsommer 1990 - da war die Mauer lange weg, die Zöllner verschwunden, die Währungsunion vollzogen - noch damals dachte ich unwillkürlich: Du fährst nachher nach Westberlin. Wieviel Geld hast du bei dir? (Um es dem Zoll erklären zu können, falls er fragte.) Hast du ein Stück Manuskript einstecken? (Das der Zoll finden könnte?) Er hatte manchmal danach gefragt oder gesucht.
Anstatt von der Straßenbahn 46 am "Nordbahnhof" in die U-Bahn umzusteigen, oder besser noch "Oranienburger Tor", blieb man sitzen, weil man schon nicht mehr wußte, wo Eingänge sich geöffnet hatten. Die Mauer im Kopf stand länger als die aus Beton.
Zum anderen hatte sich die erbaute Mauer als Grenze nie ganz im Verstand aufrichten können."
Aus: Heinz Knobloch, Michael Richter, Thomas Wenzel, "Geisterbahnhöfe. Westlinien unter Ostberlin", Ch. Links Verlag, S. 13

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Gedanken zum November 2006

Monat November
 
„Die Friedhöfe in anderen Teilen der Welt sind so eingerichtet, dass sie den Lebenden Freude gewähren“, befand einst der Schriftsteller Elias Canetti in seinen Reiseaufzeichnungen „Die Stimmen von Marrakesch“. Er beobachtete viel Leben auf dem Gottesacker: „Pflanzen und Vögel, und der Besucher als einziger Mensch unter so vielen Toten fühlt sich davon aufgemuntert und gestärkt.“ In der Sonntagsbeilage einer führenden Zeitung sah ich neulich eine große Fotografie mit einem sehr lebhaften, bunten, fröhlichen Gedenk-Treiben auf einem mexikanischen Friedhof. Es berührte mich seltsam, und ich musste bedenken, dass in unserem Kulturkreis unser Verhältnis zum Tod nicht eigentlich dem Leben zugetan ist ...

Wer am Volkstrauertag diesen Jahres der Toten auf dem Soldatenfriedhof im brandenburgischen Halbe gedenken wollte, wurde - wie in den vergangenen Jahren – Zeuge einer höchst dramatisch-politischen Konfrontation in unserer modernen Zivilgesellschaft.
Der Waldfriedhof in der kleinen Stadt Halbe (Landkreis Dahme-Spreewald, 50 km südöstlich von Berlin) ist Deutschlands größter Soldatenfriedhof. Dort tobte im April 1945 die letzte grauenvolle „Kesselschlacht“ des 2. Weltkrieges Nach Angaben des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge konnten von den insgesamt 60 000 getöteten Soldaten nur rund 23 000 Tote dort ihre letzte Ruhe finden. Seit 2003 versammeln sich am Vortag des Volkstrauertages die schon oft zitierten Neonazis um den Hamburger Rechtsextremisten Christian Worch zu ihrem provokanten so genannten „Heldengedenken“ an der Gräberstätte. Sie haben für 20 Jahre im Voraus entsprechende Kundgebungen angemeldet. Es müsse Schluss sein mit dem Missbrauch der Toten durch neonazistisches Gedankengut und Gebaren, fordert das landesweite „Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“ und meldete ebenfalls auf 20 Jahre im Voraus Anti-Nazi-Demonstrationen an. Lakonisch ist einer Mitteilung im Tagesspiegel vom 16.11.2006 zu entnehmen: „Das Polizeipräsidium Frankfurt hat in diesem Jahr den Gegendemonstranten den Vorrang eingeräumt.“
Es sei der objektiven Haltung eines Journalisten geschuldet, hier keine Wertung vorzunehmen. Als nachdenkliche Zeitungsleserschaft können wir hier vielleicht nicht anders als aufgebracht ausrufen: „Was passiert, wenn im nächsten Jahr den Naziaufmärschen grünes Licht und Begleitpersonal gegeben wird?“ So ist es ja schon an vielen anderen Orten, mehrmals z.B. in Leipzig, geschehen und geschieht offensichtlich weiterhin.

Dazu wird es hoffentlich kraft der demokratischen „Zivilcourgage der Straße“ nicht kommen. In Halbe begann am Sonnabend, dem 18. November, um 12 Uhr mittags der „Tag der Demokraten“. In den folgenden Nachmittagsstunden trafen sich auf der Lindenstraße und weiter Richtung Friedhof etwa 8000 Menschen – Menschen mit demokratischen, humanistischen, christlichen Haltungen, oftmals alle diese in sich vereinend - wie die Generalsuperintendantin Heilgard Asmus zum ökumenischen Gottesdienst unter freiem Himmel auf dem Friedhofsvorplatz der versammelten Menschenmenge vermittelte. Sie hielt eine höchst „weltliche“ Predigt zu dem Gedanken aus dem „Lied des Mose“ (Altes Testament, zu 5. Mose 32,7): „Gedenke der vorigen Zeiten und hab acht auf die Jahre von Geschlecht zu Geschlecht. Frage deinen Vater, der wird dir’s verkünden, deine Ältesten, die werden dir’s sagen“. Jahrtausende nach dem Wirken Moses, der bedeutenden Gestalt des Alten Testaments, bewiesen, nie war das Gewesene untergegangen noch abgetan. Diese Aufforderung gilt bis heute: Die Gegenwart steht immer auf den Schultern der Vergangenheit.

Unsere Online-Erinnerungs-Reihe, beginnend im Januar 2005 mit dem Gedenken an Auschwitz und im Oktober endend mit dem Nürnberger Prozess, der erst im Herbst 1946 die Akten schloss, setzen wir mit aktuellen Ereignissen dieser Art fort, die anzeigen, wie das „Gewesene“ in unsere Tage hineinreicht und uns gemeinsam mit den Lernenden der Verantwortung für die Zukunft verpflichtet. Dabei sind uns die Ergebnisse der bundesweiten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) „Vom Rand zur Mitte – Rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland“ eine wichtige Materialbasis. Ein Impuls für produktives Lernen in der Fremdsprache sei die Erklärung der Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus, Monika Lazar (Bundesfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN): „Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus können nicht länger als Probleme des Ostens, der Jugend oder der gering Gebildeten betrachtet werden. Den Prototyp eines ostdeutschen, männlichen, jungen Neonazis, der mit den Jahren aus seinen Einstellungen herauswächst, gibt es nicht. Wir selbst müssen aktiv gegen die gefährliche Entwicklung in unserer Gesellschaft vorgehen, wenn sie sich nicht ausweiten soll.“

Angesichts des erstarkenden Rechtsextremismus im Gesamt-Deutschland, der die gesamt-deutsche Aktion gegen das „Nazi-Geschwür“ mobilisieren muss, sollte nicht kleinlich aufgerechnet werden, in welchem Teil Deutschlands die Nazianteile größer sind. Es gehört aber zu den Taktiken im immer wieder eröffneten Ost-West-Theater, den neuen Bundesländern „den braunen Peter in die Schuhe“ zu schieben. Erschreckend sind die rechtsextremen Hochburgen Mecklenburg-Vorpommern; dort haben es die alten und neuen Nazis geschafft, in die Länderparlamente einzuziehen. Eine Faktenansammlung ist demnach dienlich. Nach der FES-Studie haben mittlerweile 8,6 Prozent aller Bundesbürger/-Innen ein "geschlossenes rechtsextremes Weltbild". Dabei sind nicht im Osten, sondern im Westen vor allem Menschen mit solchen verfestigten Einstellungen anzutreffen. Monika Lazar befindet hierzu: „Die politische Wahrnehmung war bisher anders, weil im Osten mehr rechtsextreme Gewalttaten begangen werden. Wir dürfen aber nicht bei der Analyse der Ausdrucksformen stehen bleiben.“
Der November als vielschichtiger Gedenkmonat verlangt uns dabei natürlich im Bezug auf den Ost-West-Kontext ab, die Gefahr von rechts in den neuen Bundesländern nicht zu unterschätzen. In wachsendem Maße erobern Rechtsextremisten im bürgerlichen Gewande lokale Räume. Sie versuchen in Bildungs- und Sozialwesen, in Kultur- und Jugendarbeit Fuß zu fassen. Es gelingt ihnen dort, wo sie im Alltag mit einfachen Angeboten und scheinbaren Lösungen die besondere „östliche“ Verunsicherung, ja oft anhaltende Ratlosigkeit, der durch soziale und gesellschaftliche Veränderungen freigesetzten Menschen aufgreifen. Ein Vorschlag für den „Tag der Demokraten“ 2007 wäre also, u.a. den Geschäftsführer von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Brandenburg auf der Rednerbühne neben den Spitzen der Landesregierung und Vertretern von Bundestagsfraktionen auftreten zu lassen. Unsere eingehende Beobachtung des „Endspurts bei Lehrstellen“ an der IHK Erfurt in Thüringen im Oktober 2006, sensibilisiert für die Verwirrung von Jugendlichen, die trotz einer Ausbildungsplatzsuche leer ausgehen und damit der Chance einer qualifizierten Ausbildung und einer Lebensplanung entgehen. Hier schließt sich der Kreis von Vergangenheit und Gegenwart, von junger und älterer Generation. Erleichterung und Freude über die Unterzeichnung eines Ausbildungsvertrags macht weniger empfänglich für dumpfen Ausländerhass, falsche Heldenverehrung und menschenverachtende Zukunftsvorstellungen. Wir interessieren uns daher besonders für nachhaltig angelegte Initiativen, wie die alarmierenden Ergebnisse der neuen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ost & West ernst genommen werden und in Projekte fließen, wie „Tolerantes Brandenburg“, Victor-Klemperer-Jugendwettbewerb u.a.
 
Auf den Volkstrauertag folgt im christlichen Kulturkreis der Ewigkeitssonntag, auch Totensonntag genannt. Der Gang zum Grab ist in der kalten Jahreszeit auch damit verbunden, diese Stätte zu ordnen, für den Winter abzudecken. Viele legen für ihre verstorbenen Lieben einen besonders gestalteten, winterharten Grabschmuck nieder, um auch während der Frostperiode ihre Verbundenheit mit den Heimgegangenen zu zeigen.
Im Frühjahr treffen wir uns vielleicht wieder auf dem Waldfriedhof in Halbe, setzen uns auf eine Bank mit einem Buch, sobald die ersten Sonnenstrahlen die Erde erwärmen. Im Herbst eingepflanzte Blumenzwiebeln begrüßen uns in farbenvoller Pracht, Leben mit wachender Erinnerung ...

Ihre Margret Liebezeit und Projektgruppe

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