Logo
Startseite || Vorwort || Hilfe || FAQ || FAQ (English) || Kosten || Kontakt || Datenschutz || Impressum

Login
Benutzer-ID:

Kennwort:

oder
registrieren
Kalender
April März Februar Januar Dezember November Oktober September August Juli Juni Mai
Vorwort Blog Blog:Unterricht Blog:Unterwegs Methodisches Notizbuch Hilfe Tech. Support H�ufige Fragen FAQ (english) Kosten Gedanken zum Monat Partner & Links Bibliografische Hinweise Impressum
< voriger Monat Jahresübersicht/Archiv nächster Monat >

Herbst

Es ist nun der Herbst gekommen,
Hat das schöne Sommerkleid
Von den Feldern weggenommen
Und die Blätter ausgestreut,
Vor dem bösen Winterwinde
Deckt er warm und sachte zu
Mit dem bunten Laub die Gründe,
Die schon müde gehn zur Ruh.
 
Zum 150. Todestag von Joseph von Eichendorff am 26.11.1857

zum Übungskalender
 

Gedanken zum November 2007

Monat November
 
„Regelmäßig kommen Verehrer und Fans an das Grab von Marlene Dietrich und legen dort Blumen, Karten und kleine Geschenke nieder“. Mit diesen Worten lud Stefan Strauss in der Berliner Zeitung am diesjährigen Toten- oder Ewigkeitssonntag zu Spaziergängen auf Berliner Friedhöfen ein. Sicher sind viele dieser Anregung bei trockenem Wetter, teils sonnig, teils bewölkt, gefolgt und entdeckten in der Stille der Grabreihen die Namen vieler Prominenter. Und sicher besuchten an jenem Tag aber auch besonders viele Menschen ihre heimgegangenen Lieben ...

Am letzten November-Wochenende stehen Kerzen und Plüschtiere vor dem Haus in der Kieler Straße im Schweriner Stadtteil Lankow, in dem die fünfjährige Lea-Sophie gewohnt hat. Sie war am späten Dienstagabend, dem 20. November, im Krankenhaus gestorben – „verhungert und verdurstet nach monatelangen Qualen“, so der Obduktionsbericht.
Mit Fug und Recht kann man sagen, in der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern, im Oktober erst durch seine wirkungsvollen Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit im Mittelpunkt des Medieninteresses, ist seit dem Tod der kleinen Lea-Sophie nicht mehr alles so, wie es bisher war.
“Nachdem am Morgen bekannt wird, dass die unterernährte Lea-Sophie in der Nacht im Krankenhaus verstorben ist, beruft die Stadt am Nachmittag eine Pressekonferenz zum Thema ein. Vor den zahlreichen Journalisten regionaler wie bundesweit erscheinender Medien räumt Sozialdezernent Hermann Junghans ein, dass das Jugendamt Hinweise auf eine mögliche Vernachlässigung hatte und Mitarbeiter bei der Familie waren. Warum ihnen nichts aufgefallen ist? Solange die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen nicht abgeschlossen hat, werde er sich nicht weiter zum Fall äußern, wiegelt Junghans bohrende Fragen ab. Es gebe aber keine Hinweise, dass die Mitarbeiter etwas anderes gemacht hätten, als vorgeschriebene Verfahren einzuhalten.“ Mit dieser Zusammenfassung des ersten Tages von Sylvia Parton (Schweriner Volkszeitung (SVZ), 28. 11.) nach der unbegreiflichen Tragödie wollen wir die Debatte um den Kinderschutz in unserem Sprachprogramm anführen. Die „SVZ online“ ab dem 22. November, dem Tag, an dem auch auf dem Internetportal der Landeshauptstadt Schwerin die Pressemitteilung mit dem „Chronologischen Ablauf“ des tragischen Falls veröffentlicht worden war, widmete sich ausführlich dem Streit um den Schutz von Kindern.

“Trotz Trauer streitbar bleiben“ überschrieb Matthias Gröckel seinen Beitrag angesichts des tragischen Schicksals und forderte: „Gerade jetzt braucht Schwerin die demokratische Debatte darüber, was getan werden muss, um Kinder bestmöglich zu schützen. Seinem Leserkommentar vorausgegangen waren Erklärungsversuche der Nachbarn, der Familie, der Vermieter des Dachgeschosses, in dem Lea-Sophie mit ihrer 23-jährigen Mutter, ihrem Vater und ihrem erst im vergangenen Monat geborenen Brüderchen Justin gewohnt hat.
Mit der Darstellung von Herrmann Junghans: „Es gebe aber keine Hinweise, dass die Mitarbeiter etwas anderes gemacht hätten, als vorgeschriebene Verfahren einzuhalten“ gerät vor allem das Jugendamt unter Druck. Aus der von der Pressestelle zum Fall verbreiteten „Chronologie“, beginnend mit einem „Paragrafenwirrwarr im besten unverständlichen Juristendeutsch zum Sinn und Zweck von Sozialdaten“ (Sylvia Parton), gehe hervor, dass die Familie seit einem Jahr beim Jugendamt bekannt war. Am 12. November erreicht ein anonymer Anruf die Behörde. Der Anrufer mache sich Sorgen um den Säugling der Familie und weist darauf hin, dass das größere Kind nicht mehr im Haushalt zu leben scheine. Als die Jugendamtsmitarbeiter bei der Familie niemanden antreffen, laden sie sie ins Amt. Dort gibt sich ein Mitarbeiter mit der Aussage zufrieden, Lea-Sophie sei bei Bekannten.
Warum, fragen viele, hat der Mitarbeiter nicht darauf bestanden, das kleine Mädchen zu sehen? Was hätte der anonyme Anrufer stattdessen sagen müssen? Steht das in den "vorgeschriebenen Verfahren", die der Sozialdezernent Hermann Junghans als Ausrede dafür benutzte, um sich von seiner unterlassenen Sorgfaltspflicht und ungenügenden Überprüfung der Umstände „rein zu waschen“? Die Fragen reißen an diesem Tag und auch an den folgenden jedenfalls nicht ab. Genährt wird die zornige Abrechnung von Schweriner Bürgern mit der Stadtverwaltung durch eine Äußerung vom Oberbürgermeister Norbert Claussen auf einer weiteren Pressekonferenz: „Es hätte in jeder anderen Stadt passieren können, und der, dem es passiert ist, hat in diesem Fall Pech gehabt.“ Aller schlimmen Dinge sind drei - kann man hier in Anlehnung an eine bekannte Wendung sagen: Die Stadt kündigt zwar einen Untersuchungsbericht zum Vorgehen des Jugendamts an. Wann das Papier vorliege, sei aber noch nicht absehbar, sagte Stadtsprecher Christian Meyer. "Wir brauchen die nötige Zeit und Ruhe, um das belastbar aufzuarbeiten."

Den Tod eines Kindes als „Pech“ zu bezeichnen und sich „Zeit und Ruhe“ leisten zu wollen, bringt nicht nur bundesweit die Medienvertreter auf, sondern insbesondere die sorgfältigen Leser/-innen der Schweriner Volkszeitung (SVZ). In ihrem „starken Kopfschütteln“, mit “einer unwahrscheinlichen Wut im Bauch“, ihrer „tiefen Erschütterung“ und Fassungslosigkeit über das „zynische“, „unverfrorene“ Verhalten von Vertretern der Behörden brechen die Bürger/-innen eine Lanze für die Menschen in der Stadt, für ihren Mut und ihre Zivilcourage, die vielleicht durch den tragischen Fall neu geweckt wurde und bewirkt, künftige Schicksale dieser grausamen Art zu verhindern.
In den Kommentaren zu einzelnen Zeitungsbeitragen, wie „Schwerin trauert um Lea Sophie“, „Fall Lea-Sophie: Jugendämter ohne Kontrolle. Druck auf Behörden“, „Jede Woche sterben zwei Kinder“ u.a. erleben wir am Ende des Jahres hier eine Bestandsaufnahme von Kommunalpolitik, ein Stimmungsbild einer reifen Bürgerschaft. Der SVZ-Leser Christopher Schäfer schreibt gleich am 24. 11.: „Sparen die Kommunen im Lande ihre Jugendämter zu Tode? Brauchen die Behörden eine stärkere Kontrolle von oben?“ Als Anhaltspunkt für Sparmaßnahmen im Jugendamt führt er an: „Die um 25 Prozent geschrumpfte Mitarbeiterschaft soll sich hier um dieselbe Fallzahl kümmern wie vor einigen Jahren.“ In unserem Sprachtraining zur „Debatte um den Kinderschutz“ sei das Nachdenken darüber initiiert: Dürfte es auch in Kommunen und Städten, in denen wir alle und unsere Lernenden zurzeit leben oder gelebt haben, ähnlich aussehen: Wie sind die Voraussetzungen für menschliche Katastrophen hier und dort?
Weitere Fragen werden in diesem Kontext evoziert: Was bewirken z. B. Kürzungen in sozialen Bereichen zugunsten von kommunalen Groß-Projekten, wie Spaßbäder oder wie eine „teure Abwasserkanalisation“ (Maria Rosemeyer, Schwerin 26.11. SVZ)? Norbert Gregor (25.11.) betrachtet den Tod von Lea-Sophie als den „Kulminationspunkt einer desaströsen Stadtpolitik!“ und verweist z.B. auf die Bundesgartenschau 2009: „BUGA verschlingt Millionen!!“ Ökonomisch Interessierte mit sozialer Verantwortung diskutieren oft darüber, ob es wirklich notwendig ist, für repräsentative Feste bzw. Gebäude anlaufende Mehrkosten einzusetzen, die nach Herrn Gregor „die Stadt und ihr soziales Grundgerüst ins Verderben stürzen.“

„Natürlich lässt sich mit Geld nicht alles regulieren“, setzt der aufmerksame Schweriner Bürger fort und lenkt damit unseren Blick auf die emotional-geistige Verfassung seiner Stadt, eines jeden Landes, und meint damit die „menschliche Qualifikation“, wie es P. Petereit nennt. Christiane Großmann spricht diese vielen Mitarbeiter/-innen in ihrem Artikel „Hilferuf aus dem Jugendamt“ (24.11.) ganz und gar nicht ab, indem sie eine fürsorgliche Sozialpädagogin aussprechen lässt: "Der tägliche Druck, ob man alles richtig gemacht, an alles gedacht hat, wenn man abends nach Hause geht, ist kaum noch zu ertragen und belastet die Psyche." Regina Rettke, eine Nachbarin, deren Wohnung direkt an die der jungen Leute grenzt, äußert: „Das ist alles so unfassbar und traurig. Natürlich macht man sich im Nachhinein Vorwürfe. Doch der Kontakt zu den Nachbarn ist eher spärlich“ (SUPERillu 49/2007). Thomas Ruppenthal, Geschäftsführer der Evangelischen Jugend in der Landeshauptstadt, stellte in einer kurzen Ansprache während des Gedenk-Gottesdienstes die Frage nach den Konsequenzen: "Wenn sich Menschen in den Wohnblocks nicht mehr begegnen wollen, wenn sich beim Einzug keiner mehr vorstellt, wenn bei Lärm die Polizei geholt wird, statt sich selbst zu beschweren, werden Kinder weiter verhungern, verprügelt und allein gelassen." („Schwerin trauert um Lea-Sophie“, Ch. Koepke, SVZ 26.11.)

Es bleibt für uns nun die Aufgabe, den Streit über bessere Schutzmaßnahmen für Kinder auf dem politischen Parkett zu verfolgen. Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen schlug vor, wenn eine Familie einer Einladung zu einem Kinder-Untersuchungstermin nicht nachkomme, müsse sich das Jugendamt einschalten. Hier erhebt sich die Frage nach der Verantwortung der Eltern und es hilft sicher wenig, sie trotz ihres Versagens undifferenziert zu „Mördern“ abzustempeln. Auch wenn das Wort „überfordert“ mehrfach strapaziert wird, aber wahrscheinlich waren die noch jungen Erziehungsberechtigten „wirklich überfordert“, „mit sich, ihrem Leben und dem Leben ihrer Kinder“, so sieht es J. Kramm („Wenn Eltern und Ämter versagen“, Berliner Zeitung, 24.11.). M. C. Schulte von Drach fasst sein Interview mit dem Präsidenten des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers so zusammen: „Die Zahl sozial benachteiligter Menschen in Deutschland wächst. Dadurch steigt auch das Risiko von Gewalt gegen Kinder (Süddeutsche Zeitung, 12.09.). Diese Problematik bleibt also zuzuspitzen. Es geht nicht nur darum, mehr Geld und mehr Behörden zur Verfügung zu stellen. Es geht darum, die Jüngeren elternfähig zu machen, d.h. Eltern zu werden und Eltern zu sein. Es geht also letztlich darum, ob die Gesellschaft der jüngeren Generation Lebensorientierung und Lebensfundierung gewinnen lässt.
In diesem größeren Kontext können dann auch die als mutig bezeichneten Vorschläge der Bundesfamilienministerin wirksam werden. "Wir brauchen ein System, das Kinder aus Risikofamilien von Geburt an nicht mehr aus dem Auge lässt", sagte von der Leyen. Das beginne bei der Begleitung der Familien durch Hebammen. Später sei es wichtig, die Kinder "früh an Kindergärten heranzubringen". Hier trifft sie haarscharf das sehr kontrovers behandelte Problemfeld in der gegenwärtigen Debatte der Bundesregierung. „Auf den Anfang kommt es an“ überschrieben wir die Lerneinheit im März und verfolgen seit dem Frühjahr die Fort- und Rückschritte in der Familien- und Kinderpolitik. Wir nehmen an, die Überlebens- und Bildungschancen ohnehin benachteiligter Kinder - in Deutschland steigt das Problem erhöhter Kinderarmut - werden sich durch inkonsequente familienpolitische Beschlüsse verschlechtern. Das Ensemble von Kraftausdrücken innerhalb dieses Streitfeldes wächst in diesen Tagen durch den Begriff „Anti-Bildungs-Prämie“, früher „Herdprämie“, politisch korrekt „Betreuungsgeld“ genannt. Es ist nur ein schwacher Trost: Wäre die fünfjährige Lea-Sophie doch in einen Kindergarten gegangen oder hätte doch jemand nachgefragt, warum sie nicht mehr dort betreut wird. Und es darf nicht vergessen werden: Hätten die Eltern nicht auch eine andere Persönlichkeitsstruktur entwickeln können?
Die mündigen Einwohner/-innen Schwerins haben das letzte Wort. Der Haltung von Bürgermeister Claussen „Es kann immer wieder passieren“ setzt Norbert Gregor entgegen: „ ‚Es darf nicht wieder passieren’! muss der Leitsatz Ihrer Behörde sein.“
 
So erfahren wir mit vielerlei Beunruhigung und Bedenken die begonnene diesjährige Adventszeit. Jene Tage, in denen wir immer neues Miteinander, Wärme, Lebensbewusstheit und Achtsamkeit schöpfen sollten. Schöpfen müssen angesichts der realen Welt-Befindlichkeit allüberall.

Ihre Margret Liebezeit und Projektgruppe

< voriger Monat Jahresübersicht/Archiv

zum Übungskalender
nächster Monat >
Partner & Links
Die Zeit

Copyright © Dr. Margret Liebezeit, 2004 - 2024. Alle Rechte vorbehalten.